Ewiger Tourist oder Vorzeigeimmigrant? Wahrscheinlich irgendwas dazwischen.
Du ziehst in ein Land, dessen Sprache du nicht sprichst. Das ist eine einzigartige Möglichkeit, die Kultur und Sprache deiner neuen Wahlheimat zu lernen und deinen Horizont zu erweitern. Doch je älter man wird, desto schwieriger wird es, neue Sprachen zu lernen. Außerdem ist es viel Aufwand neben Studium/Beruf und Privatleben und kann ganz schön teuer werden. Lohnt es?

Meine Erfahrungen mit Sprachenlernen
Ich habe schon einige Erfahrungen mit Sprachkenntnissen an verschiedenen Orten machen dürfen. Hier die 4 wichtigsten Lektionen, die ich gelernt habe.
🇮🇸 Zu exklusiv. In meinem Erasmus-Semester in Reykjavík wusste ich über die isländische Sprache gerade einmal, dass sie nicht viel vom Altnorwegischen abweicht, „der alten Wikingersprache„. Deshalb heißt es, Isländer könnten die nordischen Mythologieschriften auch heute noch problemlos lesen (anders als wir Deutschsprachigen althochdeutsche Schriften). Ich wollte unbedingt einen Sprachkurs machen, um mehr zu erfahren. Meine Universität bot allerdings keinen Kurs an. Die andere Universität, die University of Iceland, hat einen tollen Isländischkurs! Diese wollte aber keine Studenten von anderen Unis annehmen, die die Kurs-Credits nicht unbedingt brauchten, zu denen ich leider gehörte. Bekanntlich ist Island sehr teuer und in meinem Budget war ein privater Isländischkurs nicht drin. Außer von den Busansagen und den wenig vorhandenen YouTube Videos habe ich nicht viel von der Sprache mitbekommen. Gott sei Dank ist Isländisch entfernt mit Deutsch verwandt. So konnte ich mich zumindest im Supermarkt leicht zurecht finden. 😄 Außerdem sprechen die Isländer gut Englisch. Trotzdem schade und eine verpasste Chance! 💡TIPP! Nichts aus der Sprache einer Wahlheimat mitgenommen zu haben, bleibt immer als kleiner Harken im Lebensweg. Smalltalk in allen Lebenslagen wird immer wieder auf die Frage kommen: „Oh du hast dort eine Zeit lang gewohnt? Sprichst die Sprache?“
Ein Sprachsouvenir habe ich aus Island jedoch mitgenommen: Laut Englisch Native Speakern habe ich einen isländischen Englischakzent erworben. Mittlerweile ist der bestimmt in einen finnischen Akzent übergeflossen.. 😅
🇯🇵 Schule vs. harte Realität. Neben der Schule habe ich 3 Jahre lang einen Japanischkurs besucht. Mein größter Traum ist wahr geworden als mir meine Eltern einen 1-monatigen Sprachkurs in Tokyo geschenkt haben. Dort angekommen, stellte ich über die Zeit immer mehr fest, wie wenig mir meine Kurskenntnisse in der wirklichen Welt weiter halfen. Natürlich konnte ich mich vorstellen oder ein Busticket kaufen. Doch die abgespeckte und idealisierte Version der Sprache im Kurs, war keineswegs die, die mir im Alltagsleben in Tokyo begegnete. 💡TIPP! Grammatik und Vokabular der Umgangssprache können sich ziemlich stark von der Hochsprache unterscheiden. Konzentriere dich erst einmal auf die Amtssprache, die dir im öffentlichen Bereich das Leben erleichtert. Die Sprache der echten Wildnis wird ohnehin gerne von Kollegen und Freunden erörtert, wodurch du das wichtigste nebenbei aufschnappst.
🇬🇧 Hören-sagen. Nach der Matura (Abitur) arbeitete ich für einige Zeit als Au Pair in England. Tolle Zeit, ich erinnere mich gerne zurück! Endlich konnte ich meine lang-trainierten Englischkenntisse anwenden und bemerkte etwas Witziges: Ich konnte den Nachrichten im Fernsehen folgen, aber kannte die Ausdrücke einfacher Haushaltsgegenstände nicht. Kochlöffel, Pfannenwender, Sieb oder Topflappen? Keinen blassen Schimmer! 🤭 Natürlich wurde mein Englisch immer besser, doch nach einiger Zeit bekam ich Kommentare, dass ich wie ein Kleinkind klingen würde.. 😄 Kein Wunder, ich verbrachte die meiste Zeit mit einem! Das musste ich mir im Nachhinein wieder abtrainieren. 💡TIPP! Was auch immer du hörst, wirst du sagen. Mit wem du dich umgibst beim Sprachenlernen formt deine Aussprache, deinen Akzent und Dialekt – auch unbemerkt.

🇫🇮 Inklusiv & Intensiv. In Finnland habe ich mit dem Erasmus Graduiertenpraktikum den Jackpot gezogen. Mit dem Praktikum an der Universität Helsinki erhielt ich dort volles Studienrecht und konnte so einen Finnisch-Intensivkurs kostenfrei besuchen. Ein Intensivkurs ist kräfteraubend, bringt aber auch viel. Extra Stress im Alltag zum Beispiel. (😉) Aber dafür auch extra Erfolge. Ich bekomme immer nette Reaktionen, wenn ich auswärts holprig meine Fähigkeiten erprobe. Jeder ist verständnisvoll und weiß, dass mit so einer schwierigen Sprache der Fortschritt nur langsam vorangeht. In Finnland gibt es außerdem viele zusätzliche Ressourcen, Finnisch zu lernen (mehr dazu ein anderes Mal). Jedenfalls steht die aktive Ermutigung durch die Öffentlichkeit und mein soziales Umfeld, die Wahlheimatsprache zu lernen, im starken Kontrast zu der Exklusivität der isländischen Sprache. Ich erfahre hier am eigenen Leib, was das politische Wort „inklusiv“ bedeutet. 💡TIPP! Balanciere deine Sprachausbildung so, dass sie so intensiv wie realistisch möglich ist. Für mich hat sich herausgestellt, dass zwei Mal pro Woche (4 Stunden insgesamt + Hausübung) die Balance ist, wenn ich Vollzeit arbeite.
Zusammenfassung
Eine Sprache zu lernen ist ein langer Prozess, der das volle menschliche Gefühlsspektrum streift. Die ersten paar Monate bis Jahre sind deine Sprachkenntnisse sowohl da – als auch nicht da. So wie Schrödingers Katze zur selben Zeit tot und lebendig ist. Manchmal ist es frustrierend, beängstigend, oder zu viel. Die meiste Zeit sind die Schrödinger-Sprachkenntnisse zumindest einschränkend. Aber es ist auch oft lustig, interessant und augenöffnend. Es verstecken sich viele kleine Erfolgsgeschichten hinter alltäglichen Situationen, wenn man sie in einer Fremdsprache meistert und auch urwitzige Missverständnisse, die am Ende die besten Anekdotenrunden nähren.
Ich bin ein Fan vom Sprachenlernen und im Teil 2 werde ich Euch erzählen, warum ein Sprachkurs aus meiner Sicht mehr als nur ein Kurs der Sprache ist.
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
Habt Ihr Euch mit Euren Schrödinger’s Sprachkenntnissen auch schon mal in lustigen oder seltsamen Situationen verhaschpelt? Ich freue mich auf Eure Kommentare!
Danke fürs Lesen! Bis bald, Eure Nadine ❤️
Mit meinem Schulenglisch konnte ich bei meinem ersten London Besuch nicht viel anfangen. Später besuchte ich eine Sprachschule. Nicht wegen beruflichr Perspektiven, sondern vorrangig um das Owner Manual meines engl. Sportwagens lesen zu können. Und dann lerne ich ein Engländerin kennen. Die wiederum erklärte mir, sie sei „A Welsh Girl“ und keine Engländerin.. Spätestens da kam mir die Erkenntnis, dass ich eben doch nicht so richtig sprachbegabt bin.. Aber für die Leckereien in deiner neuen Heimat hätte ich auch keinen Sprachkurs gebraucht. Lass sie dir schmecken!🎉
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Ich hab Dänisch von meinem ältesten Kind gelernt, als es hier in die Krippe kam und dann einfach Zeitschriften und Fernsehen angeschaut und Untertiel gelesen, bis ich so weit war, dass ich populärwissenschaftliche Bücher lesen und und mich unterhalten konnte. Einen Kurs habe ich nie gemacht, eben auch aus finanziellen Gründen. Habe dann trotzdem als Lehrerin und Übersetzerin gearbeitet. Aber recht hast du, ne verpasste Chance ist es schon, wenn man die Sprache nicht lernt. Doch auf der anderen Seite… wirst du es später noch mal brauchen? Und recht hast du auch, Isländisch ist dem Altnorwegisch sehr ähnlich. N und DK waren auch einmal ein Reich, und auf diese Weise wurde Island dänisch, bis es dann während des 2. Weltkrieges eingenständig werden musste, um nicht in die Hände der Nazis zu fallen.,
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